Mehr Autoimmunerkrankungen nach COVID-19 in Deutschland

Dresden – Eine schwere Erkrankung an COVID-19 fördert möglicherweise die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Versichertendaten aus dem ersten Pandemiejahr in medRxiv (2023; DOI: 10.1101/2023.01.25.23285014). Am meisten gefährdet wären danach Menschen, die im Krankenhaus oder auf Intensivstation behandelt werden mussten.
Die Ursachen von Autoimmunerkrankungen liegen weitgehend im Dunkeln. Infektionen werden jedoch seit langem als mögliche Trigger vermutet. So könnten Viren die Bildung von Antikörpern anregen, die sich dann gegen verwandte Antigene auf der Oberfläche von körpereigenen Zellen richten. Auch im Blut von Patienten mit COVID-19 wurden bereits verdächtige Autoantikörper gefunden. Ihre klinische Relevanz blieb jedoch bisher unklar.
Ein Team um Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden hat jetzt untersucht, ob bei Patienten nach einer überstandenen Erkrankung an COVID-19 häufiger eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert wurde.
Die Forscher haben dazu die Daten mehrerer Krankenkassen analysiert, über die in Deutschland 38,9 Mio. Personen versichert sind. Darunter waren 641.704 Patienten, die sich 2020, also im ersten Jahr der Pandemie, mit dem Wildtyp von SARS-CoV-2 infiziert hatten und von denen 40.846 wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden, davon 10.357 auf Intensivstation, wo viele beatmet werden mussten.
Die Forscher verglichen die Patienten mit der 3-fachen Anzahl von Versicherten, die ihnen in Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen glichen, bei denen 2020 jedoch keine Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde. Die Auswertung ergab, dass es unter den Infizierten 3 bis 15 Monate nach ihrer COVID-19-Erkrankung tatsächlich zu einem Anstieg von Autoimmunerkrankungen gekommen ist.
Bei den Versicherten, die zuvor positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, wurden 15,05 Diagnosen einer Autoimmunerkrankung auf 1.000 Versichertenjahre gestellt. In der Kontrollgruppe betrug die Inzidenzrate (IR) 10,55 Diagnosen auf 1.000 Versichertenjahre. Der Unterschied von 4,50 Diagnosen entspricht einer relativen Zunahme um 43 %. Die relative Inzidenzrate (IRR) von 1,43 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,37 bis 1,48 statistisch signifikant.
Die am häufigsten neu aufgetretenen Autoimmunerkrankungen waren eine Hashimoto-Thyreoiditis (IR 4,41/1.000; IRR 1,42), ein Morbus Basedow (IR 3,52/1.000; IRR 1,41), eine Psoriasis (IR 3,17/1.000; IRR 1,17), eine rheumatoide Arthritis (IR 2,43/1.000; IRR 1,42) und ein Sjögren-Syndrom (IR 1,24/1.000; IRR 1,44).
Die größte relative Zunahme gab es bei einer Reihe von seltenen Autoimmunerkrankungen wie Morbus Wegner (IRR 2,51), Morbus Behçet (IRR 2,42), Sarkoidose (IRR 2,14) und Arteriitis temporalis (IRR 1,63). Diese Erkrankungen gehören zu den Vaskulitiden, die durch eine Attacke des Immunsystems gegen kleinere Gefäße ausgelöst werden.
Das Risiko einer Autoimmunerkrankung stieg mit dem Schweregrad des vorangegangenen COVID-19. Für ambulant behandelte Patienten ermitteln die Forscher nur einen leichten Anstieg mit einer IRR von 1,38. Bei hospitalisierten Patienten betrug die IRR bereis 1,75, und bei COVID-19-Patienten, die auf Intensivstation behandelt und eventuell beatmet wurden, war das Risiko mit einer IRR von 2,28 mehr als doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe.
Trotz der durchgängig statistisch signifikanten Ergebnisse bleibt unklar, ob den Assoziationen eine Kausalität zugrunde liegt. Ein möglicher Einwand lautet, dass eine vorangegangene Infektion mit den damit verbundenen Arztbesuchen zu einem größeren Symptombewusstsein geführt hat und dass die Ärzte bei der Untersuchung die Patienten genauer nach weiteren Erkrankungen gefragt haben könnten.
Zu ähnlichen Ergebnissen waren im vergangenen Jahr britische Forscher bei einer Auswertung der „Clinical Practice Research Datalink“ gekommen, die Zugriff auf die elektronischen Krankenakten von Hausarztpatienten hat.
Ein Team um Anuradhaa Subramanian von der Universität Birmingham berichtete in medRxiv (2022; DOI; 10.1101/2022.10.06.22280775), dass es unter den COVID-19-Patienten in den ersten Monaten nach der Erkrankung zu einem Anstieg bei 3 von 11 untersuchten Autoimmunerkrankungen gekommen war. Dies waren ein Typ-1-Diabetes (adjustierte Hazard-Ratio aHR 1,56), entzündliche Darmerkrankungen (aHR 1,52) und eine Psoriasis (aHR 1,23).
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